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Die Fresken

Schon die ersten Ausgrabungen im achtzehnten Jahrhundert fördern rings um den Vesuv eine gewaltige Überraschung ans Licht. Die Ascheschichten haben konserviert, was andernorts dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen ist: eine überwältigende Fülle von Fresken.

So eine Bilderflut hat man noch nie gesehen! Die Häuser sind von Farbe durchdrungen, die Wände bemalt, überall, vom Boden bis zur Decke! Noch heute ist es vielen kaum bewusst: die Welt der Antike war nicht schlicht und weiß - sondern bunt!

Bis heute gibt es keinen anderen Ort, an dem ein vergleichbarer Schatz an Malereien in so hervorragendem Zustand gefunden wurde. Schon kurz nach ihrer Entdeckung beginnen die Ausgräber, Fresken von den Wänden abzunehmen. Dafür entwickeln sie eine Technik, die sich auch in den folgenden Jahrzehnten kaum verändern sollte: Am Rand des ausgewählten Ausschnitts meißelt man eine tiefe Rinne, in die man einen Holzrahmen einlässt. Die Oberfläche des Freskos wird mit einem Leintuch geschützt und mit Gips beschichtet. So kann der Putz nicht brechen, wenn man ihn von der Seite her mit Schneiden und Klingen aus der Wand löst und dann abträgt, bis außer der bemalten Schicht kaum etwas übrig bleibt. Das Ganze legt man auf eine Schieferplatte.

Was auf diese Weise ins Museum gelangt ist, kann unter optimalen Bedingungen konserviert werden. Dafür bewährt sich nach einigen Versuchen ein schützender Firnis aus Wachs, das purifiziert und in Terpentin gelöst wird. Ganz anders sieht die Sache vor Ort aus - ironischerweise gerade wegen der Hochachtung vor den Funden.

Valeria Sampaolo, Direktorin des Museums:

"Am Ende des achtzehnten und während des ganzen neunzehnten Jahrhunderts hatte man einen fast andächtigen Respekt vor den antiken Häusern. Und deshalb wurden sie nicht bedeckt - es wurden keine Dächer gebaut, die sie hätten schützen können, sondern nur kleine Dächlein an den Wänden. Und so haben Sonne, Regen und Wind 75 Prozent der Fresken, die man bis heute gefunden hat, ruiniert. Und so ist dieses einzigartige Modell der Ausgrabungen heute oft das einzige Zeugnis, das wir von den Fresken haben."

Im Auftrag von Giuseppe Fiorelli, Grabungsleiter und Kurator des Museums, hat der Modellbauer Felice Padiglione in achtzehn Jahren aus Kork und Papier minutiös jedes einzelne Haus nachgebildet - und vor allem auch alle Bilder und Mosaike, genau so, wie sie 1879 ausgesehen haben. Ein Werk von großem historischen Wert - und zugleich ein wahres Kunstwerk.

1882 veröffentlicht der deutsche Archäologe August Mau eine Schrift, in der er die unüberschaubare Fülle der Wandmalereien von Pompeji in vier verschiedene Stile einteilt. Trotz mancher Kritik hat sich seine Einteilung bis heute in der Forschung durchgesetzt.

Der älteste Stil wird auch "Inkrustationsstil" genannt. Er entstand schon im späten fünften Jahrhundert v. Chr. in Griechenland. Die Griechen begannen damals, die Pracht der großen öffentlichen Bauten in ihren Häusern nachzuahmen. Dazu modellierten sie plastische Quader aus Stuck und bemalten sie, um farbige Marmorblöcke vorzutäuschen. Anfang des zweiten Jahrhundert v. Chr. breitete sich diese Mode auch in Italien aus.

Über hundert Jahre später, im ersten Jahrhundert vor Christus, änderte sie sich. Im zweiten, dem "Architektur-Stil", wurden ganze Bauwerke in illusionistischer Malweise dargestellt - anfangs Säulenanordnungen, die man vor geschlossene Quaderwände stellte. Später wurden die Wände aufgebrochen, durch die gemalten Öffnungen konnte man Säulenhallen, Heiligtümer und ganze Stadtansichten sehen.

In der späten Phase des zweiten Stils traten erste Mythenbilder an die Stelle der Durchblicke. Im Dritten Stil wurden diese Bilder zum Zentrum der Wände. Die Wände selbst sind in Sockel, Mittelzone und oberen Bereich unterteilt. Den Gesamteindruck bestimmen große Farbflächen, zarte Ornamentbänder deuten Architektur nur noch an: in der mittleren Zone bilden delikate Säulen oder stilisierte Leuchter den Rahmen für mythologische Szenen.

Etwa um 40 nach Christus änderte sich die Mode noch einmal - in den letzten Jahrzehnten von Pompeji wurden die Dekorationen individueller: im Vierten Stil findet sich eine Vielzahl verschiedener Wandformen, von flächigen Feldern bis zu vielfach hintereinander gestaffelten Säulenanordnungen und Durchblicken. Der innere Zusammenhang der Architektur tritt in den Hintergrund. Die Formen werden immer fantastischer.

In den letzten hundert Jahren vor dem Untergang waren die griechisch-römischen Mythen als Bildthemen sehr beliebt. Viele Wandbilder erzählen die uralten Geschichten von den Göttern und Helden. Eine der beliebtesten ist die Geschichte von Perseus und Andromeda.

Der Halbgott Perseus, nur mit Flügelschuhen bekleidet, hat die schöne Andromeda gerettet. An einen Felsen gekettet, sollte sie einem Ungeheuer geopfert werden - Perseus aber hat es erschlagen. An Andromedas Handgelenk sind noch die Fesseln zu erkennen, die er gelöst hat. Jetzt hilft er ihr, vom Felsen herabzusteigen. Ihr Gewand ist etwas verrutscht, zeigt aber mit seiner Pracht, dass die hilflose Schöne in Wahrheit eine edle Königstochter ist. Perseus selbst ist eigentlich auf dem Heimweg von seiner größten Heldentat: er hat die Welt von der schrecklichen Medusa befreit - in der Hand hält er noch ihren abgeschlagenen Kopf.

Diese Überlieferungen, seit Jahrhunderten in Erzählungen und Dichtungen weitergegeben, sind Leitbilder der Kultur - sie sind allen Römern zumindest vage vertraut, so wie uns heute zum Beispiel die Goethes Faust oder die Geschichten der Bibel. Immer wieder tauchen etwa Episoden aus dem Trojanischen Krieg auf - nach dem Mythos waren die Römer Nachfahren der Trojaner.

Die beliebtesten Bildthemen aber widmen sich der schönen Liebesgöttin Aphrodite oder den Halbgöttern Narziss und Herakles - und nicht zuletzt dem Weingott Dionysos und seiner Braut Ariadne. Gerade die Liebesbeziehungen von Göttern und Helden sind äußerst populär: die großen Melodramen der Antike.

Nicht immer sind es große mythische Szenen, die die Wände beherrschen. In diese Dekoration sind zwei Medaillons eingelassen - ein junger Mann und als Pendant eine junge Frau. Wegen ihrer zarten Anmut ist vor allem ihr Porträt berühmt geworden. Sie hält ein Buch aus Wachstafeln und einen Schreibgriffel und schaut den Betrachter nachdenklich an. Vielleicht befasst sie sich mit Philosophie. Oder ist sie gerade dabei, ein Gedicht zu schreiben?

Man hat das Porträt nach Sappho benannt, der bedeutendsten Dichterin des gesamten Altertums. Aber es zeigt keine konkrete Person, sondern eine idealisierte Schönheit. Die Anspielung auf das Schreiben deutet auf ihre Bildung hin. Ihr Schmuck und vor allem das filigrane goldene Haarnetz nach der Mode zur Zeit des Kaisers Nero zeigen ihren Reichtum. Solche Bilder sind ein eigener Typ: die "puella docta", das "gebildete Mädchen", soll die vornehme Kultiviertheit einer wohlhabenden Familie darstellen. In der gleichen Pose schaut uns die Frau auf diesem Bild entgegen.

Auch hier hält sie den Griffel - Schreiben war in der römischen Welt fast ausschließlich Frauensache. Auch sie trägt einen teuren roten Mantel, kostbaren Schmuck und eine aufwendige, modische Frisur.

Das Bild hing im Haus des Bäckers Terentius Neo, ganz in der Nähe des Forums. Es war so angebracht, dass jeder vom Atrium aus sehen konnte: der Hausherr hatte es zu etwas gebracht. Er konnte sich sogar einen teuren Maler leisten. Allerdings hat man fast den Eindruck, dass der Maler Freude daran hatte, die Unbeholfenheit des Paares zur Schau zu stellen. Terentius Neo selbst zeigt er mit den derben Gesichtszügen eines Samniten, also des Angehörigen eines Stammes, der aus den Bergen nach Pompeji eingewandert war. So sehr sich das Paar bemüht, kultivierte Vornehmheit auszustrahlen - Terentius Neo war eben kein Aristokrat, sondern ein Bäcker, der es zu Geld gebracht hatte.